Pilzwider­stands­fähige Rebsorten: Interview mit Piwi-Altmeister Valentin Blattner

Ende Mai war ich Dank Oliver Geißbühler von Delinat in Neustadt an der Weinstraße, um Valentin Blattner beim „Rebsorten-Kreieren“ beizuwohnen. Es ging dabei um sogenannte Piwis, also pilzwiderstandsfähige Rebsorten. In aller Regel handelt es sich in um robuste Rebsorten, die so gezüchtet werden, dass sie gegen den Echten und Falschen Mehltau genügend Resistenz aufgebaut haben. Das Wort „Züchten“ meint hier das Kreuzen verschiedener Rebsorten, um eine Resistenz zu erzeugen. 

Dabei geht aber auch darum, die Rebsorten in anderer Hinsicht wie z.B. der Frostresistenz wehrhafter zu machen. Darunter soll optimalerweise nicht das sensorische, also geschmackliche, Potential leiden, ganz im Gegenteil!

Passionierter Rebsorten-Kreuzer seit Dekaden

Valentin Blattner ist, man kann es schon so sagen, ein Altmeister des Piwi-Züchtens, der viele bekannte Piwis mitkreiert hat. Diese nennen sich z.B. Pinotin oder Cabernet Blanc. Dabei führt er mit seiner Familie auch ein eigenes kleines Weingut, weshalb er mit dem Winzerhandwerk eng vertraut ist.

Oliver Geißbühler: Weinbau der Zukunft

Olivier Geißbühler baut federführend die Content-Plattform „Weinbau der Zukunft“ auf. Dort werden regelmäßig inhaltlich eindrucksvolle Videos und Texte veröffentlicht, die sich insbesondere mit den Herausforderungen des Klimawandels und Piwis als Lösungsansatz beschäftigen.

Inhalte

Das Interview

1. Viele Menschen, selbst Weinaffine, können immer noch wenig mit dem Begriff „Piwi“ anfangen. Was bedeutet eigentlich der Begriff „pilzwiderstandsfähige Rebsorten“?

Valentin Blattner:

Eigentlich ganz einfach, wie der Name schon sagt, pilzwiderstandsfähig, da unsere klassischen Europäerreben keine Resistenz gegen diese Pilze besitzen, die aus Amerika importiert wurden. Für herkömmliche Reben ist es schwierig, Resistenzen aufzubauen, weil wir immer die gleichen Sorten anbauen. Es ist keine genetische Veränderung enthalten. Daher kann sich die Pflanze nicht an Pilzmutationen anpassen und sich nicht dagegen wehren. Das ist eigentlich das, was wir machen. Mittels des Einbringens von Resistenzmechanismen gewöhnen wir die Rebe auf natürliche Weise, durch eine Kreuzung einer geschmacklich guten Rebe mit einer resistenten Rebe, an den Pilz. Daraus ergibt sich im besten Fall gute, resistente Rebsorte. Verschiedene Mechanismen, mit denen sich die Pflanze gegen die Pilze wehrt, werden kombiniert, damit der Pilz auf verschiedene Hürden stößt, die er erst einmal überwinden müsste, was er aber im entscheidenden Moment meistens nicht schafft.

Valentin Blattner bereitet die kleinen Trauben mit einer Pinzette auf die Kreuzung vor, um eine Piwi-Rebsorte zu züchten.
(1) Valentin Blattner bereitet die jungen Träubchen der Mutterrebe für die Besamung mit Pollen vor, indem die männlichen Bestandteile der entfernt werden.

Das heißt, das Zusammenleben der Pflanze und des Pilzes wird in diesem Fall zielgerichtet organisiert. Wir helfen der Pflanze, sich diese Resistenzmechanismen anzueignen und sich zudem mit dem Pilz zu arrangieren. Der Pilz wird immer noch da sein. Das Zusammenleben der beiden Individuen, wenn man so will, funktioniert so, dass sich Pilz und Pflanze miteinander arrangieren. Der Pilz wird da sein. Aber die Pflanze kann mit dem Pilz leben und der Pilz hat ja eigentlich auch seine Lebensberechtigung. Er ist verantwortlich, um die Blätter wieder abzubauen. Ansonsten würden die Reben in den Blättern ertrinken! So wird das natürliche Gleichgewicht wiederhergestellt.

Das macht man ganz einfach, indem man Kreuzungen macht, bei denen verschiedene Resistenzmechanismen sowie Qualitäten aus Tausenden Varianten ins Spiel bringt und diese dann sich selber in einem Feld überlässt, wo diese sich arrangieren können. Die, die mit dem Pilz zusammenleben können, bleiben übrig und die anderen sterben. Diese sind folglich nicht mehr vorhanden, so wie das in der Natur eigentlich immer funktioniert.
(2) Die männlichen Pollen der Vaterrebe werden in einer Tüte gesammelt und über das Träubchen gestäubt.

2. Welche Missverständnisse gibt es?

Vielleicht kommt jetzt die Frage, was ist denn unnatürlich an unserem Vorgehen? Viele Leute sagen: „Jaja, Gentechnik“. Aber wir verheiraten lediglich ganz offiziell zwei Pflanzen miteinander. Und wir wissen, wer mit wem verheiratet ist. Das ist der einzige Unterschied zu dem, was die Biene macht: Wir bestäuben manuell eine Blüte einer Rebsorte mit dem Pollen einer anderen Sorte. Bei der Biene geht es nach dem Motto „Der Briefträger weiß nicht, wer der Vater ist“: Wir wissen es!
(3) Für mehrere Monate bleiben die Pollentüten über den Träubchen, um eine Kreuzung der Reben zu ermöglichen. Die Kerne der daraus geernteten Trauben stellen die Grundlage für die neue Rebsorte dar.

3. Wie kann man diese Missverständnisse vermeiden? Viele Menschen denken, das ist sowas Neues, das sind, so sage ich mal, „mittelmäßige Rebsorten“. Was müsste ganz grundlegend getan werden, damit das vermieden werden kann und die Piwis beim Verbraucher in ein besseres Licht geraten? Der Verbraucher sagt zum Beispiel: „Cabernet Blanc, geil, will ich haben!“

Valentin Blattner:

Ja, das war so mit den ersten Kreuzungen. Man war zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon froh, dass es überhaupt Trauben gab, weil die Reblaus ja zuvor alles gefressen hatte. Die Frage nach der Qualität stand damals nicht an vorderster Stelle. Und so kam es dann zu diesem schlechten Image, von wegen: „Uh das kann man nicht trinken“. Es gibt schon Sorten, die weniger gut sind, sagen wir jetzt mal so. Aber, Cabernet Blanc war dann das Standardmodell, um zu zeigen, dass man mit Kreuzungen von verschiedenen Rebsorten eine super Qualität machen kann.

Das war natürlich schon der Meilenstein, um zu zeigen, dass Cabernet Blanc-Weine vielmals sogar noch besser sind als Sauvignon Blanc! Eigentlich war es das Ziel, den Sauvignon Blanc zu ersetzen, mit all seinen Problemen: Fäulnis; „wächst wie Unkraut“; die Aromatik hält sich nicht lange im Wein. Nach zwei Jahren geht es in Richtung „Spargelwasser“. Und Cabernet Blanc hat all diese Probleme nicht. Das ist ein Riesenfortschritt, was man auch im Glas sehen kann!

Es sind sehr schöne Weine, die aber sogar ein größeres Spektrum vorweisen, von grünen, mit diesen Stachelbeeraromen, bis hin zu den gelben Aromen, das sind dann eher so Tropenfrüchte, Passionsfrucht, zwischendrin wäre noch die Holunderblüte. Also das ganze Spektrum, was mit dem Sauvignon Blanc nur schwierig gelingt, löst man mit dem Cabernet Blanc besser. So muss es sein! Das Bessere ist des Guten Feind. Sauvignon Blanc ist gut. Aber Cabernet Blanc ist definitiv besser!

Cabernet Blanc Weinprobe

Und mit dieser Sorte konnte man zeigen: Halt – dieses Vorurteil von „Hybridreben sind schlecht“ ist schon lange übergangen. Die «Qualitätsvorurteile» werden wortwörtlich überholt. Mit dem Cabernet Blanc war das das erste Mal der Fall. Und dann kamen ganz viele weitere Rebsorten.

Muscaris bringt dieses Muskataroma hervor, was man von verschiedenen Muskatsorten kennt. Nur ist der Anbau viel einfacher: Er erfriert nicht. Er ist einfach zehn Mal besser, weil alle Muskatsorten, die faulen, die sind anfällig gegen Krankheiten und dann kommt Muscaris! Das ist mal eine ganz andere Größenordnung und macht Weine in dem Stil, wenn man denn diesen Stil will. Mit dieser Rebsorte ist man gut bedient. Heute weiß man eigentlich mit diesen, ich sage jetzt mal, Aufklärungssorten, dass man mit diesem neuen Anflug von Züchtungen bessere Qualitäten hinkriegen kann und, dass man den ganzen Rest auch noch reparieren kann. Man kann mehr Säure reinzüchten. Das ist ganz einfach. Dann haben wir klimaresistentere Pflanzen. Alles lässt sich auf einen Schlag lösen und ist für den Winzer natürlich ein Riesenvorteil!

Auch für den Konsumenten führt das zu Vorteilen. Denn, wenn man so weiter spritzt, wie man das 100 Jahre lang gemacht hat, vernichtet der Weinbau seine eigenen Überlebensgrundlange. 2000 Jahre spritzen hält die Rebe nicht aus. Dann sind die Böden kaputt. Alles ist danach vergiftet. Mit dieser biologischen Lösung hat man eine bessere Möglichkeit. Schliesslich war die biologische Lösung, die 100% funktioniert hat, das Veredeln der Europäerrebe auf einer Unterlage, die resistent gegen die Reblaus ist. Das Gleiche machen wir jetzt noch mit der sogenannten «Oberlage», also mit der Edelrebe. Diese machen wir jetzt ebenfalls resistent. Dann stimmt es von oben bis unten. Anhand der Rebe wird gezeigt, was man mit Selektion und mit Züchtung machen kann.

Die Menschheit hat alle Kulturpflanzen zu seinem Vorteil gezüchtet. Ein Wildapfel zu Beispiel: „Das Ding hat zwei Zentimeter Durchmesser und man kanns kaum essen, so bitter“. Eine Wildkirsche ist ein Riesenstein mit einem Häutchen ringsherum, dass ein bisschen Zucker enthält. Alles wurde zu unseren Gunsten gezüchtet. Das ist auch im Interesse der Pflanzen. Die werden nämlich gehätschelt und gepflegt, und haben ein schönes Leben. Für uns führt es dazu, dass wir auf diese Weise eine Symbiose, also ein Geben und Nehmen vorfinden.

Valentin Blattner macht sich mit einem Stuhl und seinem Werkzeugkasten auf den Weg, um Piwis im Weinberg zu züchten.

Verschiedene Individuen organisieren sich gemeinsam, um zusammen besser vorwärtszukommen, sei es jetzt, dass ein Insekt eine andere Pflanze schützt und auch selbst einen Vorteil dadurch erhält. Es gibt auch ganz viele symbiotische Verhältnisse in der Natur. In diesem Fall ist die Züchtung auch ein symbiotisches Verhältnis, dass sich der Mensch da mit einer Pflanze zusammengetan hat, damit es beiden besser geht. Das beinhaltet jetzt nicht, dass man einfach vergiftet, damit es uns besser geht und die Pflanze da vom Tropf am Leben erhalten wird. Also, wir müssen ein bisschen über die klassische Lehre hinausdenken. Es ist in den letzten 50, 60, 70 Jahren zugunsten der Chemie gedacht worden und zu Ungunsten der Pflanzen und des Menschen. Dies müssen wir wieder korrigieren.

Insekt tarnt sich auf einem Weinblatt einer pilzwiderstandsfähigen Rebsorte, welche auch als Piwi bekannt sind.

4. Es gibt ja, sage ich mal, in der Weinwelt viele Leute, die suchen nach der nächsten Spitzenrebsorte, nach dem nächsten „Banger“. Was wäre denn aus ihrer Sicht, was wären Rebsorten, wo Sie sagen, die haben in der Zukunft das Potenzial die neuen Cabernet Sauvignons, Rieslinge, wenn man das so will, darüber kann man ja auch streiten, zu sein. Wo würden Sie sagen, wonach werden sich in Zukunft die Weingenießer die Finger lecken?

Dank Olivier und Delinat konnte ich einige Piwis probieren. Auch zuvor habe ich immer wieder Piwis ausprobiert. Aus meiner Sicht haben diese Rebsorten das Potential, in der Spitze mit den besten Chardonnays, Bordeaux- Cuvées, Rieslingen, Spätburgundern und Cabernet Sauvignons mitzuhalten. Was ist eure Meinung zum Qualitätspotential von Piwis?

Valentin Blattner:

Na gut, in unserer Arbeit bearbeiten wir natürlich sämtliche aromatische Richtungen, vom Cabernet Sauvignon, über den Syrah zu Carignan und Spätburgunder. Das ist alles in dieser Arbeit inbegriffen.

Wobei ich auch sagen muss, es gibt diese Verteilung, diese berühmte Glockenkurve: 80 Prozent sind in der Mitte, 10 Prozent auf jeder Seite nebendran. Es gibt einige Kreuzungen: Da ist auf der einen Seite eine Carignan mit dieser Riesenfarbe samt Tanninen und auf der anderen Seite ein Pinot Noir, also weniger Farbe, ja, die fruchtige Richtung, keine Riesentannine, aus der gleichen Kreuzung. Aber das ist die Variabilität, die die Weinrebe mit sich bringt. Man muss nicht Pinot Noir-Kreuzungen machen, um Pinot Noir rauszukriegen. Aber, das zeigt eigentlich, was für ein Potential in der Weinrebe drinsteckt und das ist enorm und macht Riesenspaß. Es ist in den Weinproben mit den neuen Sorten immer so: Da gibt es Ausschläge, superfruchtige Rotweine. Die einen rümpfen die Haare. Die anderen sagen: „Woaaaaaah“! Das ist er! So etwas habe ich noch nie gesehen.

Wir müssen Folgendes im Blick behalten: Der Konsument ist ja schon konditioniert. Und, wenn wir da auch wieder eingreifen können mit einem bestimmten Produkt, dass wir heute gar noch nicht kennen. Das sind alles Möglichkeiten, die existieren. Aber wenn du von dem Red Bull auf den Wein kommen willst, dann musst du eben diesen Übergang bearbeiten. Das ist alles möglich. Am Schluss sollte nicht ein Einheitsprodukt da sein: Chardonnay ist auf der ganzen Welt das Gleiche, mit Eichenholz und Vanillegeschmack, siehe Coca Cola. Du kannst Coca Cola in Indonesien oder in Spanien trinken… Es schmeckt überall gleich! Oooh wie langweilig. Wenn jemand Coca Cola mag ist das gut und recht. Aber es darf auch regionale Produkte geben, die auch einen regionalen Charakter behalten können und als Spezialität auf lokaler Ebenen neben dem Standardprodukt Coca Cola.

Ich nenne jetzt einige Rebsorten. In der Schweiz wäre es der Gutedel, in Deutschland ist es der Riesling. Nichts gegen Gutedel und Riesling. Das kann man alles machen, auf die resistente Weise. Aber das ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Es gibt noch ganz viele Möglichkeiten. Das ist bei mir wie folgt: Wir arbeiten mit den Winzern zusammen. Der Rebschulist steht zwischen dem Züchter und dem Winzer. Alle arbeiten zusammen. Wir drängen dem Winzer nicht etwas auf, sondern, dass ist seine Auswahl: Der Cabernet Blanc wurde von einem Winzer ausgelesen; Der Cabernet Noir wurde von einem Winzer ausgelesen. Alle meine Rebsorten sind, nachdem ich sie ausgelesen habe, für meinen Weinberg. Ich habe das für mich als Winzer gemacht. Alle anderen Rebsorten wurden von Winzern ausgelesen.

Wenn der Winzer zufrieden war, spricht sich das herum. Dadurch verbreitet es sich. Und so muss es auch sein.

5. Was sind aus Ihrer Sicht die besten Piwis für Spitzen-Schaumweine?

Valentin Blattner:

Dafür wird eine ganz eigene Züchtung gemacht. Schaumweine kann man auch aus – wie gesagt – Riesling herstellen. Schöne Säure. Nicht zu viel Phenole. In dieser Richtung ist es auch möglich. Oder dann das Superfruchtige, hier wieder Muscaris als Beispiel. Dann vielleicht eher mal die süße Variante um auf die Zielgruppe, wenn ich jetzt das so nennen darf, nämlich die jüngere Generation abzuzielen, die wieder, ich habe vorhin schon erwähnt, von einem Getränk kommt, dass eher süßlich geprägt ist. (Lachen) Ist ja egal, mit Speck fängt man Mäuse. Man muss auch das herstellen, wo du den Konsumenten abholen kannst. Das ist aber der Winzer, der das entscheidet.

Es gibt eine Arbeit von Karl Rummel, wo er aufzeigt, was man mit Sauvignac so alles machen kann, also vom süßen Wein bis zum trockenen «Saufwein», der einfach zu trinken ist. Bis zum gehobenen alkohol- und aromareichen Wein, aber auch über den Schaumwein hinweg, wird das ganze Repertoire abdeckt.

Ich war selbst erstaunt, was mit dieser Rebsorte alles möglich ist. Das ist dann auch ein bisschen der Kellermeister, der da seinen Input einbringen kann. Neuerdings gibt es da diese «Orangeweine», wo also gar nichts mehr gemacht wird und alles ganz der Natur überlassen wird. Nun ist ja alles möglich. Da ist es einfach so, dass da der PH-Wert möglichst tief sein muss. Es muss eine „selbst stabile Flüssigkeit“ hergestellt werden. Einige Leute nennen das nicht Wein. Es ist natürlich wieder eine Stilrichtung. Das ist wieder die Sache des Kellermeisters. Wenn man es nicht trinken kann, ist es nicht eine Rebsorte, die falsch ist, sondern es liegt am Kellermeister, der sich da vertan hat.

Es ist ein seitliches Portrait des bärtigen Rebenzüchter Valentin Blattner in einem blau-weiß gestreiften Hemd im Weinberg, in dem pilzwiderstandsfähige Rebsorten, also Piwis gezüchtet werden.

6. Was können Piwis (abgesehen von der Pilzwiderstandsfähigkeit), was „Nicht-Piwis“ nicht können?

Valentin Blattner:

Es gibt ganz viele Vorteile. Beim Frost hat man gesehen, dass der Zweitaustrieb bei den resistenten Sorten, die zwar einmal erfrieren können, sei es Vitis amurensis (Amur-Rebe), Vitis riparia (Uferrebe) usw., weiterhin gut funktioniert. Die treiben wieder aus und machen eine zweite Blüte und dann hat man doch noch eine halbe, wenn nicht sogar 3/4 Ernte, was ein Riesenunterschied zu Null ist. Das wäre die Frost- oder Spätfrost-Toleranz. Dann wäre da aber noch die Winterfrost-Toleranz vorhanden: -20 Grad ist ja für die meisten Piwis kein großes Problem, sogar -25 Grad, weil auch wieder Genetik vorhanden von Wildreben ist, die aus dem nördlicheren Teil kommen oder aus Klimata, die sehr heiß und sehr kalt sind. Sei es auch wieder Vitis amurensis, aus der asiatischen Wildrebe, aber sei es auch aus der amerikanischen Wildrebe, welche dies hat. Zum Teil benutzt man auch Vitis viniferas aus Georgien, wie wir schon erwähnt haben. Diese hat ganz unbekannte genetische Grundlagen im Vergleich zu unseren Mitteleuropäischen, die man dann auch wieder nutzen kann. Da wäre zum Teil auch noch eine Resistenz gegen Krankheiten vorhanden, obwohl es Europäer sind, also in der Rebe gibt’s unglaublich viel Genetik, die zu gebrauchen ist.

Es ist eigentlich erschreckend, dass man das nicht über die letzten 100 Jahre bereits gemacht hat. Also das ist so, als ob man sagen würde: «Viereckige Räder sind das einzige Richtige und damit das so bleibt, probiert man es mit der Federung aus, um das etwas auszugleichen». Man wird feststellen, dass man mit der modernen Züchtung oder mit moderner Auslese ganz neue Dimensionen in den Weinbau reinbringen kann, zum Beispiel auch bis nach Holland, Schweden, Dänemark und England. Alle sind jetzt im Weinbau, auch durch den Klimawandel. Und die können mit diesen modernen Rebsorten auch Superweine machen, was alles schon bewiesen ist. Also der Weinbau profitiert ungemein dadurch.

7. Welche Piwi-Rebsorten lassen sich am einfachsten mit Speisen kombinieren?

Valentin Blattner:

Im Großen und Ganzen ist das auch ein bisschen eine individuelle Sache. Da gibt es der Möglichkeiten viele. Und das ist die Aufgabe des Fachmanns, in dem Fall sind es der Sommelier und der Koch, die das zusammen erarbeiten können. Ganz toll sind natürlich diese Sauvignon-Aromen, Cabernet Blanc mit Spargel. Das passt wunderbar. Eröffnet neue Dimensionen! Also da ist schon viel möglich. Aber wie gesagt, das sind dann die Spezialisten, der Sommelier und der Koch. Ich stelle nur Möglichkeiten zur Verfügung und die Fachleute können dann damit arbeiten. Es wäre jetzt anmaßend, wenn ich davon schon das Diktat rausgebe.

In der aromatischen Küche ist da vieles möglich, was wir bis jetzt noch nicht so mitgekriegt haben. Ich erinnere mich an Weinproben mit Spargel zum Beispiel. Da war ich selbst erstaunt, was da rauskommt. Also ich lass mich da betören und bilden.

8. Was müsste aus Ihrer Sicht gemacht werden, um Piwis den Verbrauchern „schmackhaft“ zu machen? Schließlich hat es die „Neue Welt“ auch erfolgreich geschafft, die „Wein-Auswahl nach Rebsorten“ zu etablieren.

Valentin Blattner:

Ja, das ist eigentlich ganz einfach. Ich denke schon, dass der Piwi, also der Begriff „pilzwiderstandsfähig“ eine Information ist, die sehr schnell als Solche aufgegriffen und verstanden wird. Darum hat man das damals gewählt. Ich war in der Gründungsversammlung dabei. Man kann es dann auch auf Englisch als „Pioneer Wine“ bezeichnen. Es ist schon so, dass die Pioniere immer die Ersten an der vordersten Front sind.

Also, es ist viel aussagend, aber das muss alles vom Winzer erklärt werden. Aber es ist ja schön. Da kann man eine Story erzählen. Da kann man wirklich seine wahre Geschichte erzählen und den Konsumenten abfangen auf einer Schiene, die im Moment en vogue ist, also die sowieso im Kommen ist, von wegen Öko, Vegan usw. Da kann man die Leute abholen und da sind sie auch interessiert. Und das Gute ist, man hat viel mehr Geschichten mit den Piwis zu erzählen als mit dem, ich nenn mal als Beispiel den Chasselas als Schweizer Rebsorte, da gibt’s nicht viel zu erzählen.

Am Schluss bleibt nur noch die Tradition. Die ist allerdings ein bisschen abgelutscht, weil überall, wo ich hinkomme, heißt es “ Tradition“, „schon mein Großvater“ usw.

Aber mit Piwis hat man doch ganz andere Möglichkeiten, wo auch die Erfahrung des Winzers mit einbezogen wird. Ich habe den gepflanzt und „Woaah“, es wächst von allein, es fault nicht und es macht interessante Weine. Da kann man alles Positive reininterpretieren. Halt wieder einfach die Story und die ist viel persönlicher zu erzählen als wieder einmal die Tradition zum wiederholten Male aufzuwärmen. Der Weinbau hat sich so auf die Tradition herunter abgeflacht, dass es zum Gähnen ist- Und so sind auch die Weine langsam zum Gähnen und es gibt deshalb Weine, die man einfach vergessen kann.

Dann soll es auch ein Genuss sein. Wer das nicht kann, der kann Wodka saufen. Das schmeckt einfach nicht, macht eine dumme Birne und Kopfweh am nächsten Tag. Im Weinbau hat das nichts zu suchen. Ein Wein muss einen Wiedererkennungswert haben, da muss man die Nase reinhalten. Und „Aach“, genau das ist das!

KI-generiertes Bild eines futuristischen Weingutes aus geglättetem Holz mit Weinberg auf dem Dach.

9. In Zeiten von zunehmender Ungleichheit, erhöhter Kriegsgefahr (Russland-Ukraine-Krieg, Sudan, Taiwan….). Wie kann Wein und die Weinkultur einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt schaffen? Können Piwis dabei eine Rolle spielen?

Valentin Blattner:

Ich bin der Meinung, dass jeder Konflikt mit einer Flasche Wein gelöst werden kann. Und wenn das beim ersten Anlauf nicht gelingt, dann halt beim Zweiten. Möglichkeiten gibt es viele bis am Ende der Tage. Aber, Waffengewalt ist eine schlechte Lösung. Wir probieren das immer auf die angenehme Art, das wäre eine Flasche Wein. Leider wird das nicht so gehandhabt, vielleicht in Ermangelung eines guten Getränks. Wir arbeiten dran. Wein ist auch völkerverbindend. Und das ist ja auch das Interessante daran. Jede Region hat ihren Wein und darum eine Allerweltsrebsorte kann es nicht geben, soll es nicht geben, darf es nicht geben.

Man erlebt es zum Beispiel auf einer vergangenen Urlaubsreise. Das eröffnet dann Erinnerungen und so ist es auch in Südfrankreich mit den schweren Rotweinen oder an der Mosel mit den Rieslingen. Das sind bleibende Erinnerungen. Es wird verknüpft. Wo unser Hirn dann das Positive vom Erleben mit diesem tiefen Erlebnis hat. Das wird dann alles verknüpft und zusammen verarbeitet. Das ist das, was das Leben angenehm und interessant macht.

Und darauf aufzubauen, mit diesen, wie gesagt, lokalen oder aromatischen Besonderheiten ermöglichen Piwis zuhauf. Da ist der klassische Weinbau im Grunde genommen schon ein Sorgenkind. Es sollte da schon mit einer neuen Weinmarketingstrategie gearbeitet werden: Nämlich wieder zurück zum regionalen Produzenten, zum regionalen Produkt und zu mehr geschmacklicher Vielfalt. Es wäre ein Gewinn.

Was in den letzten 15 Jahren stattgefunden hat, ist so ein bisschen System Coca Cola. Alles wurde vereinheitlicht. Es hat natürlich auch damit zu tun, dass die Vinifikation vereinheitlicht wurde. Die Traubensorten wurden vereinheitlicht und so schmeckt dann alles ein bisschen gleich. Wenn ich heute Abend jetzt zu einem PIWI-Winzer gehe, dann trinken wir eine Flasche Cabernet Blanc, blicken wir über das Land und das wird uns ewig in Erinnerung bleiben, weil es ein Erlebnis ist, geschmacklich, optisch und degustativ. Alles gehört zusammen.

Oliver Geissbühler:

Ja, und ich denke, Piwis machen eigentlich einen Winzer unabhängiger, also er ist weniger abhängig zum Beispiel vom Dieselpreis, weil er weniger Durchfahrten machen muss. Er braucht weniger Pflanzenschutzmittel, die ja auch teuer sind. Also er ist weniger abhängig von der Chemie. Er kann eigentlich wieder das machen, was er ursprünglich gemacht, nämlich Wein produzieren.

Valentin Blattner:

Und mit dem Konsumenten hin trinken und Freude daran haben. Ich meine, dass das Marketing immer zeitaufwendiger wird: Der Winzer hat keine Zeit, um den Weinberg zu gärtnern. Anstatt so, wie wir das heute Abend machen. Wir sitzen mit dem Winzer drin, genießen das Leben und den Wein und nehmen eine Kiste mit nach Hause. Und du siehst auch wieso? „A“, weil es Spaß macht. Und „B“, weil du die Erinnerung auch mit nach Hause nehmen kannst.

Genau! Und wie gesagt, sämtliche Konflikte auf dieser Welt kann man mit Wein lösen. Es braucht einfach genug Zeit, je nachdem vielleicht etliche Flaschen, aber man soll die Flinte nicht ins Korn werfen, wie es so schön heißt.

Max Pestemer:

Vielen, vielen Dank für diese sehr ausführlichen Antworten, also sehr viel gelernt. Wahnsinn!

Wein-Empfehlungen

Timo Dienhart Sauvignac & Riesling

An der Mosel und darüber hinaus ist der Maring-Noviander Biowinzer Timo Dienhart insbesondere für seine exzellenten Bio-Rieslinge bekannt. In diesem Wein wird der robustere Sauvignac mit dem Mosel-Riesling kombiniert. Heraus kommt eine elegante und animierende Cuvée, welcher es gelingt dezente Aromen heimischer und tropischer Früchte mit einer prägnanten Mineralität zu verbinden.

Catalunya DO 2021 Albet i Noya Aventurer

Im katalanischen Penedès hat sich der Biopionier Josep Maria Albet i Noya auf den Anbau von Piwis eingelassen. Zusammen mit Valentin Blattner hat er dessen Rebzüchtung ausgewählt, um diesen Wein zu vinifizieren. Dieser Rotwein sticht durch seine Aromen von roten Früchten gepaart mit einer angenehm eingebunden Mineralität hervor.

Weingut Lenz Koo Kuu Samtrot

Das Weingut Lenz vinifiziert gemeinsam mit Delinat die Koo Kuus. Mit dem Samtrot haben wir es dabei mit einem Spitzenprodukt zu tun, welches qualitativ ohne jegliche Kompromisse geschaffen wurde. Noten von frischen roten Früchten, aber auch von saftigen dunklen Früchten gepaart mit vielfältigen Gewürzen sowie angenehmen Tanninen zeichnen diesen Rotwein aus.

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Interviewer & Fotograf: Kenichi-Maximilian Pestemer / Max Pestemer

In Vinaet.de verwirkliche ich meine Passion für das Thema Wein und möchte Sie daran teilhaben lassen.

Weine probiere ich am liebsten blind, um unvoreingenommen zu sein. Riesling & Frühburgunder verzücken mich immer wieder.

Zusammen mit meinem Vater Richard Pestemer genieße ich die Besuche bei den Winzern vor Ort.

Durch die Landschaftsfotografien von Weinanbaugebieten drücke ich meine kreativen und künstlerischen Phantasien bezogen auf die Welt des Weines aus.

Ich freue mich über Ihr Feedback als Besucher. Schreiben Sie mir gerne an info@vinaet.de. An vielen Stellen habe ich das Besucher-Feedback schon einfließen lassen.

Kenichi-Maximilian Porträt im Garten Vinaet

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